07.02.2009

Türe zumachen

 Türe zumachen 150


Eintrag: #076

Warum will man Türen zumachen?

Ja, weil es kalt ist draußen und bei offener Tür der Ofen das Haus nicht erwärmen kann.

Ja, weil der Wind sonst zu viel Staub in die gute Stube bläst.

Ja, weil sonst ein Dieb hereinkommen und mir mein letztes Schuhzeug stehlen könnte.

Ja, weil ich allein sein und ungestört bleiben will.  Das alles sind Gründe, eine Tür zu schließen. Aber was können verschlossene Türen noch bedeuten?

Vielleicht ist das Haus nicht bewohnt, oder der Besitzer ist nur kurz weggegangen – oder in unserer Zeit weggefahren.

Es kann aber auch sein, dass jemand im Haus ist – und Angst hat. Darum hat er sich eingeschlossen.  Ich glaube, die Angst ist der eigentliche Schlüssel zu den verschlossenen Türen.

Wovor haben Menschen Angst – und vor wem?

Menschen haben vor anderen Menschen Angst.  Dass man mich so sieht, wie ich wirklich bin: unrasiert, im schmutzigen Gewand, das Geschirr vom Mittag noch nicht abgewaschen. Dass ich so wenig zum Kochen habe, weil ich mir nichts leisten konnte. Dass man mich sieht, wenn ich einen Schluck zu viel trinke.

Die größte Angst, glaube ich, ist die, sich zu offenbaren, wie man wirklich ist. Krank zu sein und sich beim Gehen stützen zu müssen, eine Brille zum Lesen zu brauchen – all das will man nicht zeigen.

Man versteckt sich lieber hinter verschlossenen Türen, als sich mitzuteilen. Als zu sagen: Ja, ich bin älter geworden. Ja, obwohl ich fleißig bin, reicht es nicht für Luxus. Ja, ich trinke manchmal, weil ich den Problemen nicht mehr gewachsen bin oder die Einsamkeit nicht mehr aushalte.  Siehst du Türen, die zu lange oder immer verschlossen sind, kannst du fast sicher sein: Dort wohnt jemand, der einsam ist. Nicht einsam, weil die Tür zu ist – sondern umgekehrt. Diese Person ist einsam im Herzen und verschließt sich deshalb noch mehr nach außen.  Kennst du solche Menschen – bitte sie um Einlass und schenke ihnen eine Stunde deiner Zeit. Aber hör ihnen wirklich zu. Einsame Menschen haben viel zu erzählen. Von ihrer Welt. Erzähle ihnen nichts vom letzten Zugunglück oder von deinem Urlaub am Meer.

So erlaubst du ihnen, sich zu öffnen. Und vielleicht ist beim nächsten Mal, wenn du im Stiegenhaus an ihrer Tür vorbeigehst, genau diese Tür einen kleinen Spalt offen – das wäre dann schon fast eine Einladung. Nimm sie an und hör dir dasselbe noch einmal an. Einsame Menschen erzählen selten etwas Neues.  Wenn dich jemand bittet, die Tür zu schließen, dann bitte ihn, dass das nicht für dich gelten soll.

Du möchtest die Tür gern wieder offen sehen, wenn du das nächste Mal vorbeikommst.  Als mich meine Mutter das letzte Mal bat, die Tür zu schließen, war es das letzte Mal, dass ich sie lebend sah.

Darum macht mich dieses Bild, das sie selbst als Kind gezeichnet hat, jedes Mal traurig – und jedes Schild „Türe zumachen“, das ich irgendwo sehe.  Hinter verschlossenen Türen sind einsame Menschen.

Klopfe an diesen Türen – vielleicht kannst du manche verschlossene Seele oder manches verschlossene Herz wieder öffnen.  Dieses Bild ist das letzte der Serie „Kinder Aquarelle / damals 04“ – das letzte und auch das traurigste.

Ich habe euch die Türen aufgemacht, damit ihr diesen kleinen Schatz – hoffentlich staunend oder ein wenig erfreut – bewundern konntet. Er ist nicht verloren, weder in der Zeit noch im Raum.  Meine Arbeit als Schatzhüter ist damit beendet, und ich selbst werde euch bitten, wenn ihr alles gesehen habt:

„Bitte Türe zumachen!“ 

Don José

Türe zumachen 560

 

Titel Türe zumachen
Autor Theresia Bauer
Gezeichnet im Alter von 12 Jahren
Jahr 1933
Land Österreich


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